Management in Skizzen II

Bilder prägen das Denken

Der Innovationsgrad unterscheidet die Vorgehensweise

Innovationsgrade Mario Weiss

Abb.: Innovationsgrade – inkrementell, radikal, disruptiv

Mit einem Team von Top-Führungskräften standen wir im neunten Stock eines Gebäudes am Werksgelände eines deutschen Automobilproduzenten. Als wir über die Produktionshallen und Bürogebäude blickten, meinte eine Führungskraft: „Wissen Sie, die Muster und die Logik des gesamten Systems, das Sie hier sehen, sind auf Fehlersuche, Effizienzsteigerung und kontinuierliche Verbesserung ausgerichtet. Wir sehen sofort, ob irgendetwas falsch läuft und wie etwas noch weiter verbessert werden könnte. Wir können gut damit umgehen und die Dinge weiterentwickeln. Wir sind gut darin, die nächste Generation von Scheinwerfern zu entwickeln. Das macht uns heute ziemlich erfolgreich. Uns fehlt aber der Zugang zu den radikaleren Neuerungen. Was sind die radikalen Änderungen der nächsten Jahre? Wie ist das mit der Mobilität in 20 Jahren? Wie sieht die übernächste Generation des Individualverkehrs aus?“

Aus diesem Beispiel und aus unseren Erfahrungen in vielen anderen Unternehmen wird eines deutlich: Der Grad der benötigten Innovation entscheidet über die Vorgehensweise und über die eingesetzten Methoden und Instrumente. Prozesse der kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung – also inkrementelle Innovationen – sind völlig anders zu gestalten als bewusst herbeigeführte Systembrüche und revolutionäre Erneuerungen.

Der Begriff der Innovation wird heute sehr breit verwendet, selbst kleine Veränderungen an Produkten, Prozessen oder Organisationen werden bereits als Innovation bezeichnet. Daher muss klar zwischen inkrementellen und radikalen Innovationen unterschieden werden. Und es gibt noch eine dritte Dimension: Die disruptive Form. Disruptive Innovationen sind seltener und von einzelnen Unternehmen allein fast nicht zu steuern.

Inkrementelle Innovationen sind Veränderungen und Weiterentwicklungen an bestehenden Systemen und Produkten. Sie sind für die laufende Wettbewerbsfähigkeit wichtig und gut geübter Standard in jedem modernen Unternehmen. Inkrementelle Innovation bedeutet, dass mit dem System und seinen Beteiligten gearbeitet wird und diese so weit wie möglich eingebunden und integriert werden. Inkrementelle Innovationsprozesse laufen unter der Bedingung von Sicherheit und Stabilität. Die erreichbaren Ziele und der Ausgang sind für die Beteiligten meist schon am Beginn relativ klar.

Radikale Innovationen verändern Organisationen oder ihre Produkte und Leistungen grundlegend. Es entstehen neue Lösungen mit bislang nicht gekannten Mustern, Prinzipien und Eigenschaften, die auch die Nutzendimension für den Anwender wesentlich verändern oder sich deutlich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Organisation auswirken. Typisch für radikale Innovationen sind völlig neue Problemlösungen für den Kunden, neue Organisationsformen, technische Umbrüche und neue Systeme. Radikale Innovationen erfordern meist eine klare Abgrenzung zu den bisherigen Abläufen und zum bisherigen Wissen. Statt am Bestehenden anzuschließen, wird mit dem Bestehenden gebrochen, und dafür braucht man andere Methoden als für inkrementelle Innovationen. Man braucht veränderte Organisationsstrukturen, einen anderen Zugang zum Kapital und neue Zugänge zur Arbeit der betroffenen Menschen. Radikale Innovationsprozesse laufen unter der Bedingung der Unsicherheit und eines offenen Ausgangs ab. Vielleicht gibt es grobe Vorstellungen über die Ergebnisse, aber es gibt keine klaren Ziele und keine sofort messbaren Kennzahlen.

Disruptive Innovationen sind selten, aber umso bedeutender und kraftvoller. Sie geben einer ganzen Branche oder Szene völlig neue Spielregeln oder Rahmenbedingungen. Disruptive Innovationen versetzen ganze Lebensbereiche in Bewegung und definieren Branchen neu, denn sie beschränken sich nicht auf technologische Durchbrüche. Diese Innovationen sind nur schwer von einzelnen Unternehmen allein zu erzeugen, weil disruptive Innovationen immer aus einem Zusammenspiel von mehreren Faktoren unterschiedlicher Sphären (technologische Erfindungen, gesellschaftliche Entwicklungen usw.) entstehen. Zwischen durchschlagendem Erfolg und Absturz ist der Grat ziemlich schmal, da disruptive Innovationen den schärfsten Bruch mit hergebrachten Voraussetzungen und bisherigem Wissen erfordern. Entscheidend ist ein großzügiger Zugang zum Risikokapital, auch wenn der Grad der Unsicherheit für alle Beteiligten extrem hoch und der Ausgang völlig offen ist.

Weitere Informationen:
Dr. Mario Weiss
Trigon Klagenfurt
mario.weiss@trigon.at

Manangement in Skizzen  2
Bilder prägen das Denken
Diese  Serie ist die Weiterarbeit am Buch: Management in Skizzen von Mario Weiss, erschienen im Haupt Verlag.