Führung [neu] denken

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Laterales Führen – Führen ohne Vorgesetztenfunktion

Immer häufiger gelangen Schlüsselkräfte in Organisationen in eine Rolle, in der sie Führungsaufgaben übernehmen müssen, ohne Mitarbeiterverantwortung zu haben.
Diese Rolle ist in der täglichen Arbeitspraxis herausfordernd und erfordert eine Reihe von Kompetenzen im fachlichen und sozialen Bereich. So muss es gelingen, Führungskräfte und Mitarbeiter*innen für Veränderungsvorhaben ins Boot zu holen und Commitment für die Umsetzung von Maßnahmen zu erzielen. Die Möglichkeiten hierarchischer Autorität müssen dabei durch innere Führungsstärke und hervorragende soziale Kompetenzen ersetzt werden.

Laterales Führen ist Führen unter Verzicht auf Hierarchie. Das „Führen von der Seite her“ beruht nicht auf den Möglichkeiten disziplinärer Weisung, sondern geschieht dadurch, dass man auf andere Personen einwirkt, ohne diesen etwas „anschaffen“ zu können. Die Grundlage des Führens wird nicht durch die formale in einem Organigramm festgehaltene Führungsfunktion gebildet. Sie entsteht durch Vereinbarung zwischen Führenden und Geführten und basiert zu einem großen Teil auf informellen Faktoren, mit deren Hilfe Menschen geführt und gemeinsame Ziele erreicht werden können.

Da die hierarchische Weisungsbefugnis als Machtquelle entfällt, müssen sich laterale Führungskräfte auf andere Einflussquellen stützen – zum Beispiel auf persönliche Autorität, ausgewiesenes Expertenwissen oder auf ein gezieltes Networking. Laterales Führen beruht ebenso auf Vertrauensbildung und Verständigung und strebt danach, die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zu verbinden.

In der Praxis gibt es dabei eine Reihe von Herausforderungen für die laterale Führungskraft. Unterschiedliche Interessen beteiligter Personen können nicht durch Weisungen einer Lösung näher geführt werden, sondern erfordern wesentlich komplexere und aufwändigere Zugänge. Dafür brauchen Führungskräfte hohe persönliche und soziale Kompetenzen.

Um die Führungsarbeit auch ohne Vorgesetztenfunktion gut durchführen zu können, erweisen sich drei Grundbausteine als hilfreich:

1. Legitimation erwerben

Ob wir hierarchisch oder lateral führen: wir nehmen Einfluss. Um Einfluss nehmen zu können, braucht es eine Legitimation. In Hierarchien haben Führungskräfte eine Vorgesetztenfunktion gegenüber ihren Mitarbeiter*innen, die sie üblicherweise von Personen erhalten, die in derselben Hierarchie noch höher gestellt sind.

Auch laterale Führungskräfte sind in den meisten Fällen durch die Hierarchie legitimiert. Immerhin werden Projektleiterinnen oder Leiter von Arbeitsgruppen ja in den meisten Fällen von Vorgesetzten ernannt. Es sollte also klar gemacht werden: die laterale Führungskraft ist vom Management gewollt. Je klarer Verantwortung und Befugnisse geregelt und je transparenter diese für alle Beteiligten sind, desto leichter wird es sein, Einfluss zu nehmen.

Eine andere Legitimationsquelle können die zu führenden Teammitglieder sein. Ein Verein wählt seinen Vorstand, eine Genossenschaft ebenso. In derselben Form gibt es viele Unternehmensbeispiele, in denen Teammitglieder eine Person erwählen, die für die Führung und Koordination des Teams zuständig ist.

Ob die ursprüngliche Legitimation durch eine höhere Führungskraft oder die Teammitglieder selbst erfolgt – jedenfalls ist es sinnvoll bereits zu Beginn Fragen der Zusammenarbeit, der Akzeptanz und des Commitment mit den Teammitgliedern zu besprechen.

Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch die Selbstlegitimation zu nennen. Ohne die innere Bereitschaft eine Führungsaufgabe zu übernehmen, ohne das Selbstvertrauen in die die eigenen diesbezüglichen Kompetenzen wird laterale Führung nicht möglich sein.

Es ist klar, dass diese Legitimationsquellen einander ergänzen müssen. Eine Führungskraft, die zwar hierarchisch legitimiert ist, jedoch keine Akzeptanz im Team genießt, wird nur sehr begrenzt handlungsfähig sein. Auch wenn umgekehrt zwar die Akzeptanz im eigenen Team vorhanden ist, nicht aber im Umfeld des Teams bzw. in der hierarchischen Linie, wird die Wirksamkeit der Arbeit sehr eingeschränkt sein.

In beiden Fällen würden sich leicht Machtkämpfe entwickeln, die ein Miteinander verunmöglichen und zu Konflikten oder Widerständen führen.

2. Das Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Kontrolle balancieren

In jeder Organisation gibt es ein Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Kontrolle. In zahlreichen Situationen entscheiden sich Führungskräfte für ein bestimmtes Verhältnis zwischen Vertrauen und Misstrauen, Kontrolle und Kontrollverzicht.

Vertrauen ist die Überzeugung, dass eine andere Person redlich handeln wird. Vertrauen bildet die Grundlage unseres Wirtschaftssystems: Wenn wir nicht mehr in den Wert des Geldes vertrauen, verliert dieses seinen Wert. Wenn wir unseren Kunden nicht vertrauen, dass diese uns auch bezahlen oder unseren Lieferanten nicht vertrauen, dass diese uns beliefern, können wir nicht Handel betreiben.

In einer globalisierten Welt, in der wir Handel quer durch unterschiedliche Kulturen und auch Rechtssysteme treiben, zeigt sich, wie viel Vertrauen wir eigentlich benötigen. Und in unserem Unternehmen? Wenn wir als Unternehmen unseren Mitarbeitern nicht vertrauen, können wir nicht unternehmerisch tätig sein. Wenn wir als Mitarbeiter unserer Unternehmensleitung nicht vertrauen, werden keine Motivation finden und uns nicht langfristig für die Unternehmensziele engagieren können.

Natürlich wissen wir zugleich, dass absolutes Vertrauen eine Fiktion ist. Wer unabhängig vom Verhalten der anderen fortwährend auf Vertrauen bauen würde, müsste früher oder später damit rechnen, ausgenutzt zu werden und würde als naiv gelten.

Beim lateralen Führen wird der – den hierarchischen Systemen innewohnenden – Kontrolllogik eine Vertrauensperspektive gegenübergestellt. Vertrauen wird dabei als ein Beziehungsgeschehen betrachtet, das es entweder zwischen Personen oder auch zwischen Organisationen und Personen geben kann. Die Stärkung des Vertrauensprinzips gegenüber den Kontrollsystemen hat dabei nicht nur psychologische, sondern auch ökonomische Gründe. Alle Kontrollmaßnahmen binden ja auch unternehmerische Ressourcen.

Eine verstärkte Vertrauensperspektive provoziert natürlich auch. Die Vorwürfe von Naivität oder Sozialromantik werden rasch ins Spiel gebracht. Als laterale Führungskraft, die auf Vertrauen setzt, braucht es also auch psychologische Sicherheit bei diesem Thema. Diese Sicherheit wiederum wird man nur dann erlangen, wenn man sich der Frage, ob das eigene Vertrauen auch gerechtfertigt ist, nicht einfach ausgeliefert fühlt. Man wird sie aber durch die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten erhalten, mit denen man Vertrauen aktiv herstellen kann.

3. Gesprächs-, Verhandlungs- und Entscheidungstechniken einsetzen

Anfang der 1980er Jahre erarbeiteten die Professoren Roger Fisher und William L. Ury im Harvard Negotiation Project ein neues, bahnbrechendes Konzept des Verhandelns, das im deutschen Sprachraum als Harvard-Prinzip bekannt wurde.

Konzentrierten sich bisherige Verhandlungstheorien vielfach darauf, ob man eher mit hartem oder weichem Verhandeln bessere Ergebnisse erzielt, ist es das Ziel dieser Methode eine konstruktive und friedliche Einigung in konfliktären Situationen zu erzielen und ein Win-Win-Ergebnis zu erreichen.

Das Harvard-Prinzip des Verhandelns wurde in der Wissenschaft intensiv rezipiert und fand Eingang in Politik und Wirtschaft. Im unternehmerischen Kontext wurde es vor allem in Verhandlungssituationen mit Kunden und Stakeholders eingesetzt. Weniger zum Tragen kam es zunächst innerhalb der Unternehmen selbst, da zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern aufgrund der hierarchischen Beziehungen lange Zeit und wenig hinterfragt ein anderes Mindset herrschte. Man war sich oft gar nicht bewusst, dass Verhandeln eine mögliche Form der Entscheidungsfindung zwischen Führungskräften und deren Mitarbeitern ist.

Die Durchsetzungsmöglichkeiten für Führungskräfte sind innerhalb hierarchischer Strukturen oft zu verführerisch, als dass sie sich im Falle von zu treffenden Unternehmensentscheidungen überhaupt auf ein Verhandeln mit Mitarbeitern einlassen. Dies ändert sich natürlich rasch in den Situationen, in denen die hierarchisch bedingte Macht entfällt, z.B. im Rahmen gesetzlicher Vorschriften, Betriebsvereinbarungen, Lohnverhandlungen etc.

Wenn laterale Führungskräfte erfolgreich sein wollen, dann brauchen sie jedenfalls den Willen, über das Verhandeln Konsens mit anderen Beteiligten erzielen zu wollen. Zugleich dürfen sie sich nicht vorschnell und dauerhaft mit unbefriedigenden Lösungen zufriedengeben. Wenn ein Konsens nicht möglich ist, braucht es weitere Verhandlungen, um über Kompromisse eine Lösung zu vereinbaren, die auch die Chance auf Commitment der Beteiligten und Umsetzung im Unternehmen hat. Um dies zu ermöglichen, gibt es für die Gesprächsführung, Moderation und Konfliktmanagement eine Vielzahl von Techniken und Tools. Die Beherrschung dieser Techniken ermöglicht es lateralen Führungskräften zu Leistungsergebnissen zu kommen, die oft auch deutlich über den Ergebnissen ihrer Kolleginnen und Kollegen sind, die auch disziplinäre Führungsmacht innehaben.

 

Wenn Sie weitere Informationen wünschen, wenden Sie sich gerne persönlich an wolfgang.grilz@trigon.at

Seminarangebot der Trigon Academy: Laterales Führen

Weitere Infos: Führen ohne Vorgesetztenfunktion