Trigon Themen 01|2022

Erfolgsfaktor Entscheiden

Systemisches Konsensieren beim Fusionieren

Ein Bericht darüber, wie Führungskräfte eine Umkehrung des Entscheidens ermöglichen und es dadurch gelingt, eine strategische Standortentscheidung in einem Fusionsprozess mithilfe des Systemischen Konsensierens zu treffen, die motiviert, nachhaltig ist und Partizipieren freudig erleben lässt.

Zwei Regionalstellen der Zentren für Ausbildungsmanagement (ZAM) Steiermark erhielten den Auftrag zu fusionieren – unter größtmöglicher Beteiligung aller Mitarbeiterinnen. Im Rahmen dieser Organisationsentwicklung hat eine Steuergruppe verschiedene Projekte aufgesetzt und in Workshops mit allen Beschäftigten vor dem Hintergrund des Trigon Systemkonzepts bearbeitet. (siehe Abb).

Ein strategisch wichtiges Projekt war die Standortfrage, weil der künftige Standort als entscheidende Identitätsfrage erlebt wurde. Die bisherigen Standorte waren in Bezug auf Größe, Lage, Anzahl der Mitarbeiterinnen (Verhältnis 1:3), Kundinnen und Umfeld sehr unterschiedlich.

Alle Mitarbeiterinnen wünschten sich den eigenen Standort als zukünftig gemeinsamen Standort. Als bereits Überzeugungsargumente für den jeweiligen Standort kursierten, der Wettbewerb zunahm und sogar Übernahmevorwürfe laut wurden, entschied sich die Steuergruppe, die Standortfrage mithilfe des Systemischen Konsensierens gemeinschaftlich zu entscheiden.

Bei dieser Entscheidungsmethode geht es nicht darum, Argumente für die Standort.Alternativen zu finden und letztlich einen Mehrheitsentscheid zu treffen. Vielmehr geht es darum, zunächst eine Vielfalt von Alternativen zu definieren und dann zu eruieren, welche Alternative den geringsten Widerstand erhält. Danach folgen Diskussionsrunden, um Varianten mit den wenigsten Widerstandspunkten so abzuwandeln, dass Widerstände weiter minimiert werden.

Eine Arbeitsgruppe hat zu den zwei Alternativen (Standort A, Standort B) vier weitere Alternativen beschrieben und mit einem Fragebogen (siehe Abb. 2) die Widerstandspunkte für die insgesamt sechs Optionen erhoben.

Die geringsten Widerstandspunkte erhielt die Variante „gemeinsamer Standort an einem NEUEN Platz“ – entgegen der Erwartung, dass dies Standort A sein würde, da hier doppelt so viele Mitarbeiterinnen arbeiten wie am Standort B.

> Sk-prinzip: Hilfreicher Link über Systemisches Konsensieren: www.sk-prinzip.eu/

Ein Interview aus der Praxis

Die Geschäftsführerin (GF) Renate Frank und die Regionalstellenleiterin (RL) Gertrude Peinhaupt resümieren zwei Jahre nach der Standortentscheidung über das Systemische Konsensieren.
Trigon: Was war für Sie das Besondere dieses Vorgehens in Ihrer speziellen Situation?

GF: Für mich war es eine völlig unbekannte Methode und sie hat mir Gehirnleistung abverlangt, da bei dieser Methode alles umgekehrt wird im Vergleich zu dem, wie wir bisher Entscheidungen getroffen haben. Der Wettbewerb wurde quasi ausgeschaltet und wir brauchten nicht mehr um die eine oder andere Variante kämpfen. Auch wurde vermieden, dass jene, die mit guter Rhetorik für eine Variante argumentieren können, im Vorteil sind. Jede von uns konnte mehr bei sich bleiben und über die verschiedenen Möglichkeiten  nachdenken.

RL: Für mich war interessant, dass die Methode uns abverlangt hat, verschiedene Optionen zu entwickeln – es hat eine andere Stimmung ausgelöst. Wir gingen einen Schritt zurück, es war nicht mehr ein „Ja oder Nein“ zu einer Variante, sondern mehr ein Nachdenken über mehrere Optionen. Das machte mich offener und gleichzeitig klarer. Interessant ist auch, dass es kein „Dafür oder Dagegen“ gibt und das gab große Sicherheit, dass bei der Entscheidung auch gehört wird, wo es Widerstände gibt. Der Methode liegt viel Wertschätzung zugrunde für das, was nicht gewünscht ist.

Trigon: Was hat aus Ihrer Sicht diese Art der Entscheidungsfindung zum damaligen Zeitpunkt ermöglicht?

GF: Durch die Abwicklung einer internen standortübergreifenden Arbeitsgruppe konnte die ernstgemeinte Partizipation in dem ganzen Fusionsprozess noch mehr verankert werden. Und die Methode entspricht den Werten in unserem Kerngeschäft, eine Erwachsenenbildungseinrichtung zu sein, die Selbstständigkeit, Einbezug und maßgeschneiderte Lösungen für die Teilnehmerinnen umsetzt.

RL: Für mich wurde dadurch möglich, noch mehr Vertrauen zwischen den beiden Standortgruppen aufzubauen und vor allem Motivation durch Beteiligung an der Entscheidungsfindung zu wecken. Und diese Motivation konnte für viele weitere Arbeitsgruppen in diesem OE-Prozess genutzt werden.

Trigon: Und welche Auswirkungen hatte es danach und bis zum heutigen Zeitpunkt?

GF: Es gab viel weniger Diskussion und wiederkehrende Bedenken gegen die Entscheidung. Auch wenn Nachteile später sichtbar wurden, war stets im Vordergrund: Wir haben ja gemeinsam entschieden und eigentlich ist es immer noch beste Variante für uns alle. Bei den Umbauten des neuen Standorts konnten die Mitarbeiterinnen im Sinne von „Lösungen einbringen“ weiterhin mitgestalten.

RL: Das Ergebnis mit diesem Vorgehen ermöglichte eine viel neutralere Diskussion in späteren Phasen, da die Entscheidung nicht einzelnen Personen zugeordnet werden konnte und es hielt an, eben nicht nach Gegenargumenten zu suchen, sondern nach Lösungen, um Widerstände zu minimieren.

Trigon: Kam die Methode nochmals in einer anderen Entscheidungsfrage zum Einsatz?

GF UND RL: Nicht direkt als Befragung mit Fragebogen. Was jedoch spürbar ist, ist die Tatsache, dass wir in Gesprächen und Diskussionen immer wieder Runden machen, in denen wir mehr danach fragen, was Widerstand auslöst als danach, für die eigene Lösung zu argumentieren. So wurde und wird ein gemeinsames Suchen nach Lösungen viel rascher möglich.

Trigon: Summa summarum: Was würden Sie anderen empfehlen? Worauf ist besonders zu achten? Was erscheint für Sie der größte Gewinn?

GF: Es ist eine nachhaltige Methode und das Kämpfen für etwas ist nicht im Vordergrund. Vielmehr ein ruhigeres Nachdenken und Eintauchen in eine Situation. Die Entscheidung wurde nie mehr in Frage gestellt – und das ist wirklich außergewöhnlich.

RL: Mit der Methode werden nicht Positionen und Meinungen verstärkt. Wir erlebten uns als Teil einer Gemeinschaft, die durch das Mitgestalten die so wichtige Motivation für diese Fusion hervorlocken konnte. Wichtig scheint mir, dass es genügend Alternativen gibt – und das Finden dieser Alternativen ist schon ein wertvoller Teil der ganzen Methode.

Trigon: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg am neuen gemeinsamen Standort, der demnächst bezogen wird.