Trigon Themen 03|2017

Konflikte bearbeiten? Organisation entwickeln? Beides!

Vom Personenkonflikt zur Zukunftsgestaltung der Organisation

Ein Mediationsauftrag, in dem ein Konflikt zunächst personifiziert wird und im Weiteren den Weg zu den Entwicklungserfordernissen eines überregionalen Dienstleistungsunternehmens weist.

Die Lage vor Beginn der Intervention Das Unternehmen befindet sich in der zweiten Phase eines großen technischen Change-Prozesses: Hochkomplexe Arbeitsvorgänge müssen in einen IT-Workflow gebracht werden und führen zu einer Umwälzung der Gesamtstruktur. Die Projektierung für eine wichtige Produktgruppe kommt durch Querelen über Zuständigkeiten zwischen Fachabteilung und IT-Abteilung nur äußerst zäh voran.

Als Mitarbeiter der Fachabteilung die Weiterarbeit im Projekt einstellen – gedeckt durch den Fachabteilungsleiter – droht aus Sicht des technischen Projektleiters, der IT- und Finanz-Verantwortlichen Scheitern, Verzögerung, Kostenexplosion. Als Reaktion folgt ein angefertigter Aktenvermerk, in dem – hochbedrohlich für den Leiter der Fachabteilung – seine Verantwortung für Regressforderungen notiert wird. Im Sinne der Glasl’schen Eskalationsstufen sind beide Vorgänge eine starke Eskalation in die Stufen fünf (Gesichtsverlust) und sechs (Drohung). In dieser Situation werde ich für eine Mediation zwischen Fachabteilungsleiter und Projektleiter angefragt.

Konfliktbearbeitung

1. Personenebene:
Projektleitung – Fachliche Leitung

Bereits beim Auftragsklärungsgespräch frage ich, ob dieser Konflikt vielleicht das Konzentrat eines langjährigen Organisationskonflikts beinhaltet. Die Reaktion lautet: Ja, ja da gab es schon jahrelang Probleme, aber wäre gut ohne die eine Person! Ich lasse mich aus zwei Gründen zunächst dennoch auf ein Vorgehen von unten, das heißt auf der Personen-Ebene ein:

  • Auf den beiden Protagonisten lastet enormer Druck und persönliche Gefährdung. Mediation bietet die Chance, aus der Eskalationsspirale auszusteigen und sich als Person aus Verstrickungen zu lösen.
  • In den Erlebnissen derer, die auf dem Spielfeld des Konflikts stehen, zeigen sich immer die über die persönlichen Anteile hinausgehenden Quellen des Konflikts.

 

Auf Grund des hohen Eskalationsgrads beginne ich mit Einzelgesprächen, danach folgt ein gemeinsames Treffen. Wirkungen des eigenen Verhaltens für die jeweils andere Seite werden deutlich. Dieses Innehalten entlastet das Verhältnis der beiden.

Schnell wird sichtbar:

  • Beide Protagonisten sehen sich nicht mit der Person des jeweils andern im Konflikt, sondern als mandatiert zur Interessensvertretung ihrer jeweiligen Abteilungen – und sind so in eine Art Sündenbock- bzw. Opferrolle gekommen. Vor den beiden sind bereits andere Kollegen ausgebrannt.
  • Die Vorwürfe der Fachabteilung lauten unter anderem: Desinteresse am spezifischen Bedarf des Bereichs, Umgang von oben herab, Nicht-Information, Geheimhaltung, Kommunikation wie an eine Wand.
  • Die Vorwürfe des IT-Bereichs lauten: Überzogene und übergriffige Forderungen, Unflexibilität, Leugnung von sachlichen Notwendigkeiten.
  • Beide Protagonisten erleben sich als ohnmächtig und gleichzeitig die Gegenseite als mächtig und blockierend.
  • Die nötigen Kompetenzen, um die Konflikte zu lösen und die Bedrohungslage zu entspannen, liegen bei Stakeholdern innerhalb und außerhalb des Projekts.

 

All das führt zur Klarheit, dass andere Führungsebenen eingezogen werden müssen.

2. Führungsebene

Die Einbindung der Unternehmensleitung erbringt, dass diese sich verantwortlich in die Klärung einbringt. Dadurch erfolgen: Rahmensetzung zum Klärungsweg für alle involvierten Bereiche durch die Unternehmensleitung, Einzelinterviews mit Abteilungsspitzen, zweitägige Konfliktklärungs-Klausur (Abteilungsspitzen, Projektleiter und Fachabteilungsleitung).

In der Klausur geht es auf Grund der chronifiziert eskalierten Situation zunächst darum, den Parteien einen Weg aus der Verhärtung zugänglich zu machen. Mit einer räumlichen Aufstellung werden gemeinsam Stakeholder sowie deren Einflussnahme und Bedeutung im Projekt identifiziert und diskutiert. Bei allen Seiten weitet sich der Blick auf die gemeinsame Situation. Interessen und Beweggründe werden ganz konkret. Zum Beispiel erlebt sich die Fachabteilung als Wächter der Anwenderinteressen (Kunden/ Mitarbeiter), die IT-Abteilung als Wächter von Kostenrahmen und Arbeitsressourcen.

Zentrale weitere Intervention ist das visualisierte Erzählen der Konfliktgeschichte. Hier hat nun auch der emotionale Gehalt der Ereignisse Raum. Insbesondere den Abteilungsspitzen wird deutlich, dass sowohl Nicht-Kommunikation wie fordernde Kommunikation Ohnmachtserleben erzeugt haben. Die bedeutsamste Vereinbarung ist ein Jour Fixe der Abteilungsspitzen, um künftig gemeinsam transparent Entscheidungen zu treffen und so die eingeschliffene Misstrauenskultur abzubauen. Die Zeit reicht nicht, um alle Themen auf Personen und Rollenebene zu lösen. Doch bessere Kommunikation und ein Verfahren für strittige Fragen sind auf den Weg gebracht.

Von der Konfliktbearbeitung zur Organisationsentwicklung

Ein Verhalten, das für Silo-Organisationen typisch ist (Intransparenz, Abschottung, Verwaltung statt Gestaltung…), hatte den Konflikt produziert. Zu kurz greifende Personalführung und unklare strategische Ausrichtung hatten ihn zunehmend Raum greifen lassen. Eine solche Struktur und Kultur verändert sich nicht von selbst. Es braucht einen von oben gewollten und gesteuerten Prozess.

So empfehle ich in der Folgezeit Schritte zur Organisationsentwicklung:

Akut nötig ist die Absicherung des weiteren Projektverlaufs durch Projekt-Entwicklungsmaßnahmen, damit nicht in kurzer Zeit Status-Quo-Verhaltensweisen die gleichen Konflikte wie zuvor ins Projekt tragen. So finden zwei aufeinander aufbauende

Maßnahmen statt:

Ein Entwicklungsworkshop 1 mit Konzern-, Abteilungs- und Projekt-Leitungen sowie ein Entwicklungsworkshop 2 mit allen Projektverantwortlichen. Die Arbeitsweise in beiden Maßnahmen fordert von den Beteiligten bereits pilothaft eine neue Praxis zukunftstauglicher Kooperation.

Aus den bisherigen Erfahrungen im Projektverlauf wurde Entwicklungsbedarf der Organisation deutlich. Für ihre Zukunftssicherung braucht es künftig:

  1. Stärkung inhaltlicher und strategischer Führung durch die Unternehmensleitung
  2. Vernetzung und Kooperation zur Gesamtsteuerung auf der Ebene der Abteilungsspitzen

 

Dieser Prozess steht der Organisation noch bevor.

Fazit

Auch zunächst personifizierte Konflikte können schmerzhafte Signale für organisatorischen Veränderungsbedarf sein. Durch Konfliktklärung mit den Betroffenen kann dieser Bedarf identifiziert und sachlich auf den Tisch gebracht werden. Offenheit und Organisationsverständnis der MediatorIn ermöglichen, dass Fragen der Organisation nicht an Personen abgearbeitet, sondern im jeweils stimmigen Kontext verarbeitet werden.

Letztlich entscheidend, ob Konfliktklärung eher kosmetischen Wert hat oder als Anstoß zur Veränderung aufgenommen wird, ist der Umgang der Unternehmensleitung mit den Erkenntnissen aus dem Konflikt. Nimmt sie diese auf, kann die Organisation mit relativ bescheidenem Mitteleinsatz bereits zum Kern des Entwick