Trigon Themen 3|2018

Digitalisierung und Prozessberatung

Entwicklungsbegleitung in der digitalen Überreizung

von Esther Narbeshuber und Susanne Skandera

Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf die Neurobiologie unseres Gehirns und damit auf Fähigkeiten wie Willenskraft, Konzentration, Präsenz aber auch die subjektive Lebenszufriedenheit. Was bedeutet das für Menschen und Organisationen?

Esther Narbeshuber leitet das Mindful Leadership Institute in Salzburg und ist Kooperationspartnerin von Trigon in zwei gemeinsamen Lehrgängen.

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf unser Gehirn sind heute auch für führende Hirnforscher noch nicht komplett absehbar. Erste Folgen zeichnen sich aber schon deutlich ab und viele Faktoren sprechen dafür, dass wir vor einschneidenden Veränderungen stehen, die sich nicht nur auf das Individuum sondern in weiterer Folge auch auf die gesamte Gesellschaft auswirken:

Neurobiologie der Digitalisierung

Unser Gehirn ist formbar wie unsere Muskulatur. Hirnregionen, die wir viel verwenden, entwickeln sich – und zwar bis ins hohe Alter. Was ungenutzt bleibt, verkümmert. Neuroplastizität nennt das die Wissenschaft. Entsteht damit einfach Platz für neue, zeitgemäßere Fähigkeiten? Zum Teil ja. Aber wenn wir uns zusehends geschmeidig durch digitale Welten bewegen, zahlen wir dafür auch einen hohen Preis, solange wir die Mechanismen nicht kennen und bewusster steuern. Denn durch digitale Medien werden im Gehirn bestimmte, vor allem im limbischen System verortete Reiz-Reaktionsmuster ausgelöst. Fähigkeiten, die mit dem Steuerungs- und Kontrollmechanismus des Kortex zusammenhängen, verkümmern dagegen.

Konzentrationsfähigkeit

Wir sind heute einer unbegrenzten Flut von zum größten Teil unwichtigen Informationen ausgesetzt, die wir nicht mehr sinnvoll verarbeiten können, die aber unsere Aufmerksamkeit unwillkürlich auf sich ziehen. Daraus kann eine extreme Zerstückelung dessen, was wir gerade tun folgen, was wiederum die Hirnstrukturen schädigt, die dafür zuständig wären unseren Fokus konstant zu halten und uns zu konzentrieren. Eine antrainierte Aufmerksamkeitsstörung ist die Folge. Diese wiederum reduziert unsere Effektivität und Arbeitsleistung.

Willenskraft

Wie Adam Alter (2018) aufzeigt, sind Smartphones, Apps und soziale Medien bewusst so entwickelt, dass sie uns in Abhängigkeiten führen. Immer feiner auf ihre Zielgruppe abgestimmte Algorithmen machen die Einladungen ins Suchtverhalten heute omnipräsenter und machtvoller denn je. Laut Studien sind Verhaltenssüchte bei rund 40% der amerikanischen Bevölkerung bereits klinisch relevant. Die entstehenden Muster kosten nicht nur Lebenszeit und -qualität, der wiederkehrende Kontrollverlust unterminiert auch unsere Fähigkeit zur Selbststeuerung – eine zentrale Fähigkeit für ein erfolgreiches und zufriedenes Leben, die wir schon als Kinder erlernen und trainieren müssen, wie Joachim Bauer (2015) deutlich macht.

Schlaf und Regeneration

Zahlreiche Studien warnen mittlerweile, dass das blaue Licht von Bildschirmen und Screens unser Gehirn und Nervensystem durcheinanderbringt und den Hormonhaushalt beeinflusst. Die Folge davon ist, dass die Schlafqualität sinkt und wir Schwierigkeiten beim Einschlafen oder Durchschlafen bekommen. Unsere Schlafqualität wiederum ist einer der wesentlichsten Einflussfaktoren auf unser Immunsystem und unsere Regenerationsfähigkeit.

Persönliche Präsenz und Interaktionsqualität

Längere Arbeit am Bildschirm führt unser Bewusstsein nahezu zwangsläufig weg vom Kontakt mit unserem Körpererleben. Genau das ist aber eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche soziale Interaktion. Ein Smartphone auf dem Tisch reduziert ferner die Gesprächsqualität, selbst wenn es ausgeschaltet ist. In einer bemerkenswerten Studie wurden fremde Personen eingeladen, sich jeweils zu zweit zu unterhalten. In manchen Fällen lag ein ausgeschaltetes Smartphone auf dem Tisch. In genau diesen Fällen fanden die Gesprächspartner die Unterhaltung nachher weniger empathisch und vertrauensvoll als in den Fällen ohne Smartphone.

Entwicklungsberatung und Digitalisierung

Lebenszufriedenheit

Offensichtlich hat sich das Smartphone in unser Gehirn eingebrannt als die ständige Erinnerung daran, dass wir permanent auf Abruf sein müssen und uns nur ja nicht zu sehr auf den gegenwärtigen Moment einlassen sollten. In diesem Zusammenhang ist eine Studie aus Harvard unter dem Titel „Wandering Mind Unhappy Mind“ bekannt geworden: Ob sich Menschen in einem Moment glücklich fühlen, hängt weniger von der Art ihrer Tätigkeit ab, als davon, ob sie ganz bei der Sache sein können. Ablenkungen und Zerstreuung führen dazu, dass sich die Stimmung verschlechtert. Dazu passt eine Befragung der Universität St. Gallen unter 8.000 deutschen Arbeitnehmern: Je digitaler der Arbeitsplatz, desto niedriger ist die Arbeitszufriedenheit.

Digitalisierung in unserem eigenen Interesse nutzen lernen

Zu wissen, wie unser Gehirn funktioniert und wie es durch digitale Medien verändert wird, kann uns dabei helfen, die Führung in unserem digitalen Leben wieder in die Hand zu nehmen. Dazu braucht es:

Wissen um die wesentlichen Wirkungszusammenhänge: Wenn wir verstehen, wie die suchtauslösenden Mechanismen digitaler Angebote funktionieren, hilft das unserem Gehirn, den Haken unter dem Wurm zu erkennen – und nicht sofort anzubeißen.

Aufmerksamkeitstraining und Digital Mindfulness: Die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit so zu fokussieren, wie wir das wollen (statt einfach automatisch dem gerade stärksten Außenreiz zu folgen) ist der stärkste Hebel für Effizienz und mentale Gesundheit. Das können – und müssen – wir gezielt trainieren.

Selbstkenntnis: Bewusstsein über unsere eigenen Muster, Triggerpunkte und Ressourcen in der digitalen Welt – und außerhalb davon – macht uns handlungsfähiger und widerstandsfähiger.

Individuelle Strategien und konkrete Verhaltensänderungen: Die Forschung ist deutlich: Wissen reicht nicht. An digitalen Diäten, der Definition von Offline- und Muße-Zeiten, einem persönlichem Trainingsplan zum (Wieder-) Aufbau unserer Fähigkeit zur Selbst- und Aufmerksamkeitssteuerung führt kein Weg vorbei. Um zu wirken, müssen die Strategien aber individuell auf unsere Persönlichkeit und unsere Lebensumstände abgestimmt sein.

Neue Regeln und Techniken in der Zusammenarbeit: Teams und Meetings können enorm von – teils simplen – Moderationstechniken wie einem klaren Check- In und Check-Out und Fokussierungsübungen profitieren. In manchen Kontexten wirkt eine konsequente No-Laptop No-Smartphone – Policy Wunder. Virtuelle Zusammenarbeit hat eine inhärente Tendenz zu zerfleddern – immer mehr Konzerne begegnen dem mit gezielten achtsamkeitsbasierten Trainings und Programmen.

Literatur

Alter, A. (2018). Unwiderstehlich. Der Aufstieg suchterzeugender Technologien und das Geschäft mit unserer Abhängigkeit. Berlin.

Bauer, J. (2015). Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens. München.

Narbeshuber, E. & Narbeshuber, J. (in Druck). Mindful Leader. Wie wir die Führung unseres Lebens in die Hand nehmen und Gelassenheit zum Erfolg führt. Münch

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