Trigon Themen 03|2020

Konfliktmanagement und agile Zusammenarbeit

„Der Anfang fürchtet oft, womit das Ende scherzt.“

Konflikte als Transmissionsriemen von alter „DNA“ zur neuen Kultur

Die Metafinanz GmbH ist ein IT-Tochterunternehmen der deutschen Allianz-Gruppe. Sie entwickelte sich vom Forschungsbetrieb zu einem Software-und Beratungshaus mit über 700 Mitarbeitenden. CEO Rainer Göttmann entschied vor dreieinhalb Jahren, die Metafinanz innerhalb von ein paar Monaten radikal in eine agile Organisation umzubauen. Michael Fleischmann, heute Agile Coach, erlebte das aus Sicht eines damaligen Senior Sales Managers.

TT: Auf welche Konflikte hattet Ihr Euch vor dem Change eingestellt?

M: Die größte Angst war, dass unsere Reputation beschädigt wird, Leute empört kündigen und die Metafinanz in sozialen Netzwerken beschießen. Wieviel Business verlieren wir in dieser Übergangszeit, wenn Ansprechpartner fehlen und wir Know-How – und damit Qualität – verlieren?

R: Stattdessen entstanden Konflikte  in den ersten 6 Monaten in den Teams.

M: Überraschend wurde fast in jegliche Richtung innerhalb der Belegschaft sehr viel gestritten. Das gab es vorher nicht.

TT: Dieses Konfliktpotential habt ihr total unterschätzt?

M: Ja. Das Streiten hatte man in der alten Hierarchie den Managern überlassen.

R: Jeder Konflikt  war klar einer Führungskraft zugeordnet, die ihn lösen musste, auch wenn sie ihn nicht verursacht hatte. Ohne Führungskraft musste man Konflikte im Team selber ansprechen. So kam es zu Konflikten in allem, was zwischen Mitarbeiter und Team relevant ist und wo es um Entscheidungen geht. Dazu kamen Konflikte von Team zu Team: Abgrenzung von Zuständigkeiten, zur Zusammenarbeit von Shops und Business-Areas, usw.

TT: Woran habt Ihr als erstes gemerkt: Jetzt wird es „heiß!“?

M: Wir hatten ja alle Zahlen offen gemacht. Die neu gegründeten Teams waren unglaublich kostenbewusst und zwischen den Teams wurde ganz viel um die Zurechnung des Umsatzes gestritten

R: Die zwei KPI Umsatz und Profit führten zu enormen Interessenskonflikten. „Mir gehört der Umsatz, mir gehört der Kunde, mir gehört der Mitarbeiter“. Diese egoistische Kultur war in der alten Welt verwurzelt und prallte mit der neuen Teamidee „One-Meta-Erfolg“ aufeinander.

TT: Diese Konflikte kamen aus der alten DNA Eurer Organisation.

R: Darin waren alle sehr gut trainiert. In der alten Welt lief dies ganz versteckt auf der Hinterbühne und kam nun plötzlich offen auf die Vorderbühne.

M: Immanent in unserem Business war, dass immer ein Einzelner überzeugen muss, selbst wenn wir dem Kunden Teamleistungen verkauft hatten. Dahinter und hinter Vorgesetzten konnte man sich jahrelang verstecken und Konflikte schön schieben. Wir Vorgesetzte hatten Konflikte gedeckelt, jeweils für den eigenen Mitarbeiter weggeräumt und nach oben „rote Ampeln grün gefärbt“.

TT: Wie habt Ihr das überwunden?

R: Weil jeder für seine Konflikte selber gradestehen musste, herrschte für alle das Gefühl, dass ganz viel Konfliktpotential da ist. Das war für alle eine wirkliche Schwere. Aus Sicht heute war die Lösung, in Diskurs zu gehen, Bezogenheit aufzunehmen und die Sicht des andern auch mal verstehen zu wollen. Jetzt nach 3,5 Jahren ist viel Verständnis da – systemische Empathie.

M: Die wesentliche Erkenntnis war: Ein Konflikt bleibt bei mir. Wir früheren Führungskräfte  hatten ein Agreement, dass wir keine Eskalation mehr annehmen. Unsere Leute mussten in die Konflikte hinein.

TT: Wie habt Ihr das auf Organisationsebene unterstützt?

M: Wir haben deutlich gemacht: Auch die neue Organisation ist nicht in Stein gemeißelt. Waren Konflikte mit der Organisation, konnten sich Leute zusammentun, Einengendes und als ungerecht Empfundenes aufs Tapet bringen und ändern – oder auch erkennen, dass manches besser bilateral aus dem Weg geräumt werden kann.

R: Am schwierigsten war für die Teams, wenn ein Teammitglied nicht ins Team passte, sich verändert hatte, nicht performte. Dafür gibt es nicht die eine Lösung. Wichtig ist, Achtsamkeit und gute Formen der Zusammenarbeit zu etablieren, sonst geht es schnell ins Mobbing.

TT: Ihr habt den Mitarbeitern schwierige Situationen zugemutet, mit strammem Zeitplan. Als Berater sagen wir in solchen Transformationen: Es braucht Entwicklung und Training – nicht nur Postulate. Befähigt Eure Leute zu kommunizieren, zu verstehen, wie man klares Feedback gibt, usw. .

M: Heute unterstützen wir das sehr stark, z.B. durch Angebote für Teams. Aber es hat gedauert, bis die Teams das angenommen haben.

R: Wir waren gut in Reviews. Heute sind wir das auch im Bereich Zusammenarbeit. In Retrospektiven geht es darum Interessenskonflikte in Teams zu bearbeiten, Akzeptanz von unterschiedlichen Kulturwelten zu fördern, kollektive Erfahrung zu sammeln, Resonanzraum zu schaffen.

TT: Was würdet Ihr heute anders machen oder anderen Unternehmen empfehlen?

R: Wir sind naiv rangegangen. Ich würde anderen Firmen nicht empfehlen, wenn noch gar keine Not erlebt wurde, Trainings zu machen. Aber man sollte seine Toolbox vorbereitet haben. Hätten wir damals angewandt, was wir heute kennen, hätten unsere Mitarbeiter in diesen Konflikten nicht so lange leiden müssen. Wir hätten eigentlich Dich,  also andere Firmen einkaufen sollen, um dann schneller Abhilfe zu schaffen.

M: Die Konflikte müssen sichtbar werden, sonst kannst Du gar nicht damit arbeiten. Du kannst nur die Zeit verkürzen, in der man sie aushalten muss. Ich fühle mich durch diese harte Erfahrung gestärkt. Kollektiv kann man sagen: Wer durchgegangen ist, hat sehr viel weniger Angst vor Konflikten. Unsere Mentalität hat sich geändert.

TT: Es braucht ein Maß an psychologischer Sicherheit, damit Leute handlungsfähig bleiben. Verstört man zu sehr, dann entstehen Konflikte mit Abbrüchen, Verzweiflung bis hin zur Ohnmacht statt Veränderungswille. Welchen Support muss man ermöglichen? 

R: Selbstkritisch und gesellschaftspolitisch kann man fragen, ob wir die richtige Balance gefunden haben. Wir haben unseren Leuten wirklich sehr viel zugemutet. Wir haben Titel weggenommen, d.h.: Wenn ich meinem Nachbarn nicht mehr sagen kann, dass ich Manager bin, sondern Agiler Coach, verliere ich meine soziale

Identität in meiner Nachbarschaft. Da haben wir Konflikte erzeugt, die man in dieser Radikalität auch mindern könnte.

R: Jeder Mensch will der Beste sein, aber auch in einer Gemeinschaft – das ist eine Paradoxie. Bei uns muss man das zusammenbringen.

TT:  Durch neue Funktionen, Zuordnungen, Titel und die neue Verantwortung des Einzelnen im Team hat es vor allem im Sozialen und in der Identität der Einzelnen und der Organisation gekracht. Ihr musstet als erstes lernen, anders miteinander umzugehen, um das zu bewältigen.

M: Heute  wird viel mehr übers das Eigentliche gestritten: Kunden, Geschäft.

R: Man spricht mehr die Ursache eines Konflikts an, die Dinge, die man früher in einem Businesskontext versteckt hat.

TT: Ihr habt also weniger verdeckte Konflikte um Positionen, Pfründe, Rangerhalt.

R: Und es geht nicht mehr darum, Fehler zu negieren, eine reine Weste zu behalten. Diese Welt ist komplett weggeschwunden. Nun  kommen ganz andere Dinge zum Vorschein.

TT: Herzlichen Dank für diese spannende Reflexion und Eure große Offenheit!