Trigon Themen 03|2020

Konfliktmanagement und agile Zusammenarbeit

Erfolgsfaktoren für Konfliktlösung bei agiler Zusammenarbeit

Ein Erfahrungsbericht von Martina Scheinecker und Kai Sczesny, zertifizierter Scrum Master und Agile Coach, die gemeinsam Trainings zum Thema Konfliktkompetenz für die Arbeit in agilen Teams leiten.

Agile Zusammenarbeit ist mit vielfältigen positiven Assoziationen verbunden: Nah an den Kundenbedürfnissen, weniger Hierarchie, Empowerment, Vertrauenskultur, Innovationskraft, unmittelbares Feedback, schnelle Lern-Zyklen und vieles mehr.
Die vielen Stärken agiler Zusammenarbeit nur zu erleben sind, wenn man auch mit den damit verbundenen Konfliktpotenzialen kompetent umgeht. Wir beschreiben wesentliche Erfolgsfaktoren dafür.

Auch bei temporären Rollen und Rollen-Vielfalt auf die Kongruenz von Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung achten

Es ist ein Charakteristikum agiler Organisation, dass Personen flexibel verschiedene Rollen übernehmen, entsprechend ihrer Fähigkeiten und den situativen Erfordernissen. Damit geht das typischerweise mit Rollen verbundene Konfliktpotenzial einher: Fehlende Kongruenz von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung einer Rolle, unklare Grenzen zwischen Befugnissen verschiedener Rollen. Auftretende Unklarheiten und Spannungen müssen möglichst frühzeitig besprochen und bearbeitet werden, um sich nicht zu einem Konflikt zu entwickeln.

Das Potenzial der agilen Rollen für Konfliktmanagement nutzen

Es ist die Kernaufgabe der typischen agilen Rollen – Scrum Master und Product Owner – flüssige Zusammenarbeit zu unterstützen und deshalb Konfliktlösung in einem frühen Stadium, bei den ersten Symptomen einzugrenzen. Unsere Erfahrung zeigt, dass sie insbesondere mit einer lösungsfokussierten Haltung und Methodik eine gute und hilfreiche Wirkung erreichen können.

In Retrospektiven die selbständige Konfliktlösung der Mitarbeitenden unterstützen

Die neuen Formen der Zusammenarbeit beruhen auf Rollen, Werten und Ritualen, die gerade in klassischen Organisationen bisher noch wenig bekannt, gelebt – und manchmal sogar auch nicht gewünscht wurden. Teams setzen sich interdisziplinär zusammen und plötzlich finden sich in einem Team Mitarbeitende, die sich vorher in Silos eher bekämpft als gemeinsam gearbeitet haben.

Ein guter Ort, um Teams beim Ansprechen und Bewältigen von Konflikten zu unterstützen, ist für uns immer wieder die Retrospektive. Eine Moderation, die sicherstellt, dass aktuelle Schwierigkeiten klar, aus mehreren Perspektiven und lösungsorientiert angesprochen werden sorgt dafür, dass alle Mitarbeitenden im Team sensibilisiert sind und gleichzeitig der Mut und die Offenheit entsteht, unangenehme Themen gemeinsam zu lösen.

Mit Working agreements und Mediation auch schwierige Themen besprechbar machen

Bei virtueller Zusammenarbeit wird meist versucht, die Zeit besonders effizient zu nutzen. Schwierige Themen werden dadurch weniger angesprochen und auch die Körpersprache kann online nur schwer gelesen werden. Es besteht die Gefahr, dass Konflikte unter der Oberfläche bleiben und erst zu spät entdeckt werden.

Um dies zu vermeiden, sind Working Agreements hilfreich – Regeln, die extra für den virtuellen Raum gemacht sind und durch das Team entwickelt wurden, um rechtzeitig die beste Bearbeitungsform für Konflikte zu wählen.

Bei tiefer eskalierten Konflikten ist schnellstmöglich nach Möglichkeiten zu suchen, offline und in persönlichen Gesprächen weiter zu arbeiten oder virtuelle Räume zu schaffen, in denen durch Mediation unterstützte Gespräche stattfinden können.

Organisationale Spannungsfelder erkennen und balancieren

Wir verstehen Organisationen als komplexe Systeme mit immanenten Spannungsfeldern und Polaritäten. Um nur einige Beispiele zu nennen: Widersprüchliche Logiken und Bedürfnisse von Zentrale und dezentralen Einheiten, Widersprüche zwischen Investitionen in Digitalisierung einerseits, Kostendruck und Einsparungsbedarf andrerseits usw. Diese systemimmanenten Widersprüche werden auch in agilen Organisationen nicht aufgehoben, sondern müssen balanciert werden. Alle Akteure sind gefordert, sie angemessen zu erkennen, um sie nicht zu personalisieren, sondern für das Gesamtsystem gute Lösungen zu finden.

 

Gutes Rollenbewusstsein und Konflikt-Kompetenz der Führungskräfte

Auch agile Organisationen brauchen Führung – eine besonders unterstützende Form von Führung und quantitativ weniger Führungskräfte, weil viele Führungsaufgaben an die Teams und agile Rollen delegiert werden. Es bleibt aber unverzichtbare Aufgabe von Führungskräften, für all jene Konfliktsituationen Lösungen zu finden, in denen die agilen Teams an Grenzen stoßen. Die Erfahrung zeigt, dass dies oftmals Konflikte mit einer strategischen und systemischen Dimension sind. Diese Entscheidungs- und Konfliktkompetenz bleibt also auch in einer Welt der agilen Zusammenarbeit eine Schlüsselfähigkeit erfolgreicher Führung.